Evolution der Filmmusik: Von Stummfilmen über Blockbuster bis zum Streaming
Die Entwicklung der Filmmusik war und ist faszinierend – von den improvisierten Klavierbegleitungen der Stummfilmzeit über die ikonische Orchesterscores für Kino-Blockbustern bis hin zu modernen, hybriden Soundtracks, die sich nahtlos in das Streaming-Zeitalter einfügen. Jede Ära brachte dabei neue technische Möglichkeiten und ästhetische Konzepte mit sich. Dieser Artikel beleuchtet die entscheidenden Wendepunkte und Trends in der Evolution der Filmmusik.
Ära des Stummfilms
BEISPIEL
- Der Score von Camille Saint-Saëns für „L’Assassinat du duc de Guise“ aus dem Jahre 1908 gilt als einer der ersten speziell für einen Film komponierten Soundtracks. Ich habe dieses nicht so bekannte Beispiel deswegen ausgewählt, weil ich es für einen Schlüsselmoment in der Entwicklung der Filmmusik halte. Anders als improvisierte oder zusammengestellte Musikstücke hatte dieser Score eine durchgehende dramaturgische Struktur, die eng mit der Handlung verwoben war. Damit wurde der Grundstein für das Konzept des „Original Scores“ gelegt – eine Musik, die nicht nur den Film begleitet, sondern gezielt für ihn geschrieben wurde.

Einführung des Tonfilms
Die Umstellung auf den Tonfilm brachte auch kuriose Herausforderungen mit sich. So mussten Kinos weltweit ihre technischen Anlagen aufrüsten, um die neuen Tonformate abspielen zu können. Viele stumme Darsteller, die zuvor erfolgreich waren, sahen sich plötzlich mit der Aufgabe konfrontiert, ihre (ungeschulten) Stimmen einzusetzen. Längst nicht alle Stimmen wurden den neuen „Schönheitsideal“, den neuen klanglichen Anforderungen der Tonaufnahme gerecht. Die Folge? Einige Karrieren endeten abrupt, während neue Stars aufgrund ihrer markanten Stimmen aufstiegen.
Interessanterweise gab es anfangs auch gehörige Skepsis gegenüber dem Tonfilm. So befürchtete zum Beispiel die Kritik, im Rückblick paradox, dass der gesprochene Dialog die universelle Verständlichkeit des Films beeinträchtigen könnte. Einerseits richtig, weil die Kunstform Film dem Prinzip ‚Show, don’t tell‘ folgt. Andererseits waren die Befürchtungen aber natürlich auch zu kurz gedacht, weil der Ton ja selbst eine weitere künstlerische Ebene eröffnet: Dialog und Schweigen im Kontrast, Sounddesign und Geräusche als dramaturgisches Element – und natürlich die emotionalen Möglichkeiten der Musik.
BEISPIEL
- Weil es hier passt, gleich zwei Beispiele, und zwar ein internationales und ein deutsches:
Als Meilenstein auf der Entwicklung vom Stumm- zum Tonfilm gilt der Film „The Jazz Singer“ aus dem Jahre 1927, weil er der erste kommerziell erfolgreiche Tonfilm war. Gesprochener Dialog machte zwar nur einen kleinen Teil des Films aus, aber das Potenzial des neuen Mediums war klar erkennbar und ein rasches Ende der Stummfilm-Ära zeichnete sich ab. In Deutschland markierte die 1929er-Produktion „Melodie des Herzens“ den Übergang zum Tonfilm. Heute gilt der Film als erster vollständig vertonter deutscher Spielfilm.

Epoche der Orchester-Scores
Ab den 1960er Jahren begannen neue Strömungen und Popmusik-Einflüsse das Klangbild des Kinos zu verändern. Komponisten experimentierten mit unkonventionellen Instrumenten, reduzierten orchestrale Strukturen oder kombinierten klassische Musik mit Jazz, Pop und elektronischen Elementen. Diese neuen Ansätze schufen eine größere klangliche Vielfalt, verließen das vergleichsweise starre sinfonische Korsett der Jahrzehnte zuvor und setzten verstärkt auf Atmosphäre, Geräusche und Minimalismus.
Spätestens mit den Blockbustern der 1970er Jahre kehrte die groß orchestrierte Filmmusik jedoch mit voller Power zurück. Der erzählerische Einsatz von Leitmotiven wurde parallel dazu weiter verfeinert, und orchestrale Scores erreichten eine neue epische Dimension. Filmmusik wurde in der Folge wieder stärker als prägendes Erkennungsmerkmal eines Films genutzt und gewann an Popularität – sowohl als Teil des Kinoerlebnisses als auch unabhängig davon, in Form von Soundtrack-Alben.
BEISPIEL
- Und auch hier gleich noch mal zwei Beispiele, weil es Sinn macht 🙂 und die Bandbreite zeigt: „Spiel mir das Lied vom Tod“ / „C’era una volta il West “ (Ennio Morricone). Morricones innovativer Einsatz von Chor, E-Gitarre und Geräuschkulisse machte die Filmmusik zum nicht mehr von der Inszenierung trennbaren Filmbestandteil. Im Kontrast dazu ein Classic Score, ebenfalls eine Western, und zwar „Die glorreichen Sieben“ / „The Magnificent Seven“ von Elmer Bernstein. Bernsteins heroischer, orchestral geprägter Score steht für die klassische Hollywood-Tradition, die sich bis in die Blockbuster-Ära der 1970er Jahre fortsetzte.

Age of the Synthesizer
Mit den 1980er und 1990er Jahren hielten zuerst elektronische Klänge und dann digitale Produktionsmethoden Einzug in die Filmmusik. (Analoge) Synthesizer ermöglichten neue Klangfarben und hybride Arrangements, die (weit) über das klassische Orchester hinausgingen. Soundtracks wurden vielseitiger, zum Beispiel durch elektronische Texturen und durch die Nutzung von Klängen aus verschiedenen Musiktraditionen. Einzig die Integration populärer Musikstile ist und bleibt eine Konstante und hat sich gegenüber den 1960er und 1970er Jahren sogar noch verstärkt. Die Digitalisierung ermöglichte völlig neue Arbeitsweisen: Komponisten konnten Sounds schichten, manipulieren und in Echtzeit anpassen, wodurch Filmmusik zunehmend ein klangliches Experimentierfeld wurde. Dadurch bedingt ist Filmmusik heute flexibler und vielfältiger denn je. Digitale Technologien erlauben eine nahtlose Verbindung zwischen akustischen und elektronischen Elementen, während moderne Produktionssoftware neue kreative Möglichkeiten schafft.
BEISPIEL
- Die Filmmusik zu „Akira“ (Geinoh Yamashirogumi) verbindet Synthesizer mit traditionellen Musikstilen. Der Score von 1988 kombiniert elektronische Klänge mit Gamelan-Ensembles, buddhistischen Chorälen und japanischer Percussion. Diese Fusion schafft eine gleichzeitig futuristische und doch organische Klangwelt. Ein schönes Beispiel dafür, wie Synthesizer in den 1980er Jahren nicht nur als „Ersatz“ für Orchester genutzt wurden, sondern als eigenständiges kreatives Werkzeug betrachtet und gehört wurden.

Streaming und die Zukunft
Der Übergang von Kino, TV und physischen Tonträgern zu Streaming-Diensten für Video und Audio hat auch die Rolle von Soundtracks verändert. Musik wird nicht mehr nur für Kino und TV komponiert, sondern für eine globale, digitale Hörerschaft. Ein Publikum, das Filmmusik oft unabhängig vom Film konsumiert. Gleichzeitig eröffnen KI und generative Musik neue (kontroverse) Debatten: Wird die Zukunft der Filmmusik zunehmend algorithmisch gesteuert, oder bleibt sie weiterhin ein bewusst gestaltetes künstlerisches Medium?
BEISPIEL
- Der Score zu „Arrival“ (Jóhann Jóhannssons) ist ein frühes und gutes Beispiel aus dem Jahr 2016 für den Wandel der Filmmusik in der Streaming-Ära. Statt klassischer Leitmotive oder rein orchestraler Arrangements setzt er auf eine Klangwelt, die sich aus elektroakustischen Schichten, verzerrten Experimenten mit Vokal-Spuren und minimalistischen Soundflächen zusammensetzt. Der Score steht exemplarisch für den Trend, dass moderne Filmmusik oft weniger durch Melodien als durch atmosphärische Klanggestaltung geprägt ist. Diese Entwicklung hat sich durch die digitale Verfügbarkeit von Soundtracks verstärkt, da Musik zunehmend unabhängig vom Film als immersives Hörerlebnis funktioniert, selbst wenn sie in ihrer Textur-Bauweise weniger „typische Filmmusik“ ist.
Fazit
- Ära des Stummfilms 20%
- EInführung des Tonfilms 40%
- Epoche der Orchester-Scores 60%
- Age of the Synthesizer 80%
- Streaming und die Zukunft 100%