Psychologie der Filmmusik: Warum sie wirkt

Filmmusik hat besondere Fähigkeiten: sie weckt Emotionen, verändert die Wahrnehmung von Szenen und bindet das Publikum tiefer in die Handlung ein. Doch warum wirkt Filmmusik so stark auf uns? Die Antwort ist in der Psychologie des Hörens und der emotionalen Verarbeitung zu suchen. In diesem Artikel beleuchten wir, wie Filmmusik unser Gehirn beeinflusst und was sie genau zu einem so kraftvollen Werkzeug macht.

Musik triggert Emotionen

Musik aktiviert das limbische System, das für die Verarbeitung von Gefühlen zuständig ist, und resoniert dadurch direkt mit unseren menschlichen Emotionen – ohne den „Umweg“ über Verstand und Sprache. Bestimmte emotionale Archetypen wie „Traurigkeit“ und „Freude“, die als menschliche Basis-Emotionen gelten, funktionieren dabei auch interkulturell. So werden langsame Tempi und Moll-Tonarten oft als melancholisch oder traurig wahrgenommen, während schnelle Rhythmen und Dur-Tonarten mit Freude assoziiert werden. Für Filmkomponisten ist es wichtig, sich dieser nützlichen Archetypen bewusst zu sein, um gezielt mit oder gegen sie zu arbeiten und gewünschte Effekte zu erzielen. Besonders faszinierend ist, dass Musik Emotionen auch ohne Worte oder Lyrics aktivieren kann. Sprache, Worte oder lautmalerische Vokalisen in einer Fantasiesprache verstärken jedoch häufig den emotionalen Effekt.
BEISPIEL
  • Die Eröffnungsszene des Filmes „Up“ (Michael Giacchino) nutzt Musik, um große Themen wie Liebe, Verlust und Hoffnung ohne Worte zu vermitteln.

Erwartung und Überraschung

Unser Gehirn reagiert stark auf musikalische Muster und Abweichungen. Gute Filmmusik nutzt diese Mechanismen, um gezielt Spannung (tension) und Überraschung (surprise) zu erzeugen – zwei wichtige Elemente, die in jeder guten Story angelegt sind und durch Musik psychologisch verstärkt werden können. Wichtige kompositorische Werkzeuge sind Leitmotive und Dissonanzen. Wiederkehrende Leitmotive und Themen schaffen Erwartungen. Dissonanzen, Trugschlüsse oder Medianten-Wendungen brechen diese Erwartungen und erzeugen Überraschung oder sogar Unbehagen.
BEISPIEL
  • Im Score zu „The Village“ (James Newton Howard) werden zwei Elemente kontrastiert: Während das Leitmotiv in der Solo-Violine Vertrautheit und Wiedererkennung schafft, erzeugen dissonante Orchesterklänge ein unterschwelliges Gefühl von Gefahr und Isolation. Diese Kombination verstärkt die Spannung des Films und hält die Zuschauer emotional in Atem.

Synchron mit visuellen Reizen

Egal, ob Action oder Emotion, die Synchronisation mit visuellen Reizen ist essenziell. Denn wenn Musik und Bild perfekt synchronisiert sind, verstärkt das die emotionale Wirkung von besonderen Film-Momenten. Die Kombination aus Ton und Bild aktiviert mehrere Sinne gleichzeitig und steigert dadurch die Intensität. Schnelle Rhythmen und große musikalische Dynamik unterstreichen die Bewegung in Action-Sequenzen. Langsame, leise Klänge fokussieren die Aufmerksamkeit bei intimen Momenten in der Handlung.
BEISPIEL
  • Ein viel zu selten genanntes Paradebeispiel ist der Score zu „The Bourne Identity“ (John Powell). Hier treffen treibende Rhythmen in den Actionszenen auf emotionale, minimalistische Klangflächen in intimen Momenten. Powells Musik bleibt dabei stets synchron mit den visuellen Reizen und verstärkt die realistische, raue Ästhetik des Films, ohne sich in den Vordergrund zu drängen.

Musik und Erinnerung

Musik ist eng mit dem Gedächtnis verknüpft. Musik triggert Erinnerungen und über diese dann immer auch Emotionen. Wiederkehrende Themen oder bekannte Melodien helfen den Filmschaffenden dabeo, Figuren, Orte oder Ereignisse beim Publikum noch stärker im Gedächtnis zu verankern. Der Klassiker ist natürlich: Der „Imperial March“ von John Williams aus Star Wars ist untrennbar mit Darth Vader verbunden. Schon wenige Töne reichen aus und die Assoziation ist sofort da. Diese Prinzipien, die vor allem in Werbung und Propaganda ihre volle Wirkung entfalten, sollten im filmischen Erzählen und in der Filmmusik dosiert eingesetzt werden, damit es nicht zu platt und plakativ wird. Aber die Wirkungsprinzipien sollten immer bedacht und wo passend auch genutzt werden.
BEISPIEL
  • Im Score zu „Once Upon a Time in America“ (Ennio Morricone) verbindet die melancholische Hauptmelodie die verschiedenen Zeitebenen des Films und spiegelt gleichzeitig die nostalgische Sehnsucht der Hauptfigur wider. Die Musik unterstreicht nicht nur die Liebesgeschichte, sondern verstärkt auch das Gefühl von Verlust und Vergänglichkeit. Die Musik dient hier als emotionaler Kompass, der Zuschauer in die Welt der Erinnerungen zieht und diese unvergesslich macht.

Universelle und kulturelle Codes

Musik nutzt universelle und kulturell spezifische Codes, um Emotionen und Bedeutungen zu kommunizieren. Ein universeller, breit verständlicher Code für Gefahr sind beispielsweise schnelle, unruhige Rhythmen. Traditionelle Instrumente und Stile transportieren hingegen als kulturelle Codes regionale oder historische Kontexte. Sie helfen dabei Locations („Mittlerer Osten“) und/oder Epochen („Mittelalter“) zu etablieren.

BEISPIEL
  • Der ungewöhnliche Einsatz von Werken von Händel, Schubert, Mozart und anderen Komponisten in „Barry Lyndon“ zeigt ein typisches Vorgehen von Regisseur Stanley Kubrick. Die verwendete absolute Musik schafft die zeitliche Verortung im 18. Jahrhundert. Gleichzeitig dient sie aber auch dazu, die Eleganz der Locations und den Kontrast zwischen den sozialen Schichten zu unterstreichen. Händels Sarabande wird wiederholt verwendet, um eine düstere und melancholische Grundstimmung zu erzeugen und wird durch diese leitmotivische Verwendung zu einer Art Filmmusik transformiert.

Spannung und Entspannung

Filmmusik kann das emotionale Erleben steuern, indem sie zwischen Spannung und Entspannung wechselt. Diese Dynamik hält das Publikum involviert, egal ob es um bedrohliche Musik zur Ankündigung und Spannungssteigerung („Das Ungeheuer“) oder um epische Musik zur Etablierung einer positiven Erwartungshaltung („Die Helden“) geht.
BEISPIEL
  • In der Serie „Stranger Things“ (Kyle Dixon, Michael Stein), fangen bedrohliche Synth-Drones und langsame Spannungsbögen das „Upside Down“ musikalisch ein. Weichere Themen, aber ebenfalls mit Synthesizern umgesetzt, untermalen die nostalgischen und emotionalen Momente.

Fazit

Filmmusik wirkt, weil sie sowohl direkt emotional anspricht als auch kognitive Verarbeitung im Gehirn auslöst. Sie nutzt diverse psychologische Mechanismen und universelle Muster, aber auch kulturelle Codes, um das Publikum zu berühren und die filmische Erzählung zu vertiefen. Diese Kombination aus Ansprache von Emotion und Ratio macht gut eingesetzte Filmmusik zu einem unverzichtbaren Bestandteil der Filmkunst.
  • Musik triggert Emotionen 100% 100%
  • Erwartung und Überraschung 80% 80%
  • Synchron mit visuellen Reizen 60% 60%
  • Musik und Erinnerung 60% 60%
  • Universelle und kulturelle Codes 40% 40%
  • Spannung und Entspannung 20% 20%